Folk-Wunderwerk: Rhiannon Giddens & Francesco Turrisi

Kein Zweifel, ich habe soeben mein persönliches Album des Jahres gefunden. Ganz gleich, was 2019 noch an hochkarätiger Musik kommt, „There Is No Other“ von Rhiannon Giddens with Francesco Turrisi zu übertreffen, halte ich für äußerst unwahrscheinlich. Denn diese von Nonesuch Records veröffentlichte Platte ist ein Wunderwerk an Schönheit – wohltuender Balsam für die Seele.

Bereits der Einstieg ins innerhalb von nur fünf Tagen in Dublin aufgenommenen Albums verursacht Gänsehaut pur. Mit ihrer glasklaren Stimme intoniert Giddens zu orientalischen Oud-Ornamenten von Turrisi „Ten Thousand Voices“, ein berührendes Lamento, das nach geheimnisvollem Gospel klingt, der gleichzeitig in einer Kirche und einer Moschee gesungen wird.

Von diesem grenzüberschreitenden, kulturvereinenden Klangbild ist „There Is No Other“ fast durchgehend geprägt. Ein Americana Africana Arabica Blend, wie er feiner nicht abgestimmt sein könnte, von erlesener musikalischer Güte. Produzentenmagier Joe Henry hat die Entstehung wie stets bei seinen Projekten meisterhaft betreut. Er kommentiert das Album auf Facebook folgendermaßen: „So proud of this work, and of my true sister“.

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Folk-Andacht scheint mir die zutreffende Beschreibung für diese musikalische Messe zu sein, weil sie die viel zitierte Kraft der Stille in sich birgt. Als universelle Sprache stellt die Musik auf diesem Album eine Verbindung scheinbarer Gegensätze her, wählt (im Gegensatz zu Spaltern wie Trump) den Weg von Verständigung und Integration. Zwischen den Noten und Zeilen übermittelt sich so die gesellschaftsrelevante Botschaft, Fremdheit unvoreingenommen zu begegnen und in Annäherung zu wandeln, aus der Verständnis und Vertrauen entstehen kann und nicht zuletzt Frieden und Harmonie.

Widmen wir uns weiter den Perlen dieses Songrosenkranzes. Neben eigenen Kompositionen interpretiert Giddens eine Reihe von Roots-Songs wie „Letter“ oder das vielfach gecoverte Traditional „Wayfaring Stranger“ aus dem frühen 19. Jahrhundert. Ob Joan Baez, Johnny Cash, Eva Cassidy oder 16 Horsepower, es gibt einige große Versionen des Klassikers, aber diese hier von Giddens und Turrisi überragt alle bei weitem. Sie heben diesen Gospel auf ein neues Niveau, adeln ihn mit zarten Banjozupfern, einfühlsam flehendem Gesang und wunderschöner Akkordeonbegleitung zu einem Stück voller Erhabenheit und Würde. Anbetungswürdig!

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Der Titelsong ist ein kurzes vibrierendes Instrumental, das sich mit seiner Oud- und Tabla-Charakteristik klanglich vor Ali Farka Tourè und Anouar Brahem verbeugt. Musik wie eine weite Landschaft, durchzogen von südlichem Flirren, Wüste und Baumwollfeld zugleich. Wundervoll lyrisch das von perlenden Klavierakkorden und Celloarabesken geprägte „Trees On The Mountains“, eine zu Herzen gehende Erinnerung an eine verlorene Liebe.

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In den überwiegend afroamerikanischen und arabischen Klangkontext nahtlos eingebunden werden auch zwei italienischstämmige Tracks. Das stolze Traditional „Pizzica di San Vito“ sowie die Arie „Black Swan“, die wie geschaffen scheint für Giddens Stimmlage.

Das sehr dicht arrangierte Cover „Brown Baby“ besticht durch Giddens rhythmisch eingesetztes Banjo im Dialog mit Turrisis Oud, kommentierende Untertöne von Klavier und die Emotionen der Sängerin. Mit „“Briggs‘ Forró“ folgt ein Lied, auf dem Turrisi seine Virtuosität auf dem Akkordeon beweist. Vorwiegend instrumental gehalten, illustriert Giddens den Track nur mit stimmlichen Lautmalereien.

Packender Percussion Sound breitet einen fliegenden Klangteppich für Giddens Stimme auf „Little Margaret“ aus. Das von Joe Henry, seit Jahrzehnten mein absoluter Lieblingssongwriter, gemeinsam mit Giddens geschriebene „I’m On The Way“ ist ein wunderbarer Song über Reifung und Selbstwerdung, begleitet von starkem Gottvertrauen. Und zu Gott Allmächtigen führt dann konsequenterweise auch der dieses mir bereits heilige Werk abschließende Gospel „He Will See You Through“.

Turrisis Klavierbegleitung und ein himmlisches Cello führen Giddens dabei zum Altar, von dem aus sie die Gemeinde der gläubigen Zuhörer segnet. Ihr friedvolles, demütiges „Amen“ klingt, als würde die Mutter Gottes alle Kinder dieser Welt beruhigend in den Schlaf singen. Der krönende Abschluss eines unvergleichlich seelentiefen Albums, das nur nur ein Prädikat treffend zusammenfassen kann: Sensationell! Kein anderes als dieses überirdisch schöne Werk hat es dieses Jahr verdient, den Grammy für das beste Folkalbum zu erhalten.

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Ich verbinde diese Rezensionshymne gleich noch mit einer weiteren Folkempfehlung, an der Rhiannon Giddens maßgeblich beteiligt war. Es handelt sich um das vor wenigen Monaten auf African American Legacy Recordings erschienene Projekt „Songs Of Our Native Daughters“, an dem neben Giddens mit Leyla McCalla, Amethyst Kia und Allison Russell weitere hochkarätige Denkmalpflegerinnen ursprünglicher Songkultur beteiligt waren. Auch hier sind Liedauswahl und Darbietung vorzüglich.

https://www.youtube.com/watch?v=F0FfAagEkH8&frags=pl%2Cwn

Die Musikerinnen schöpfen hier aus Musikquellen vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, denen Stories afroamerikanischer Frauen zugrunde liegen. Auditive Kulturforschung, die wohl darum auch vom National Museum of African American History and Culture gefördert wurde. Ich vermute, auch dieses Album ein ganz heißer Kandidat im Grammy Rennen um das beste Traditional Album werden dürfte.

Also, tut Euren Ohren und Seelen was Gutes und kauft „There Is No Other“ und „Songs Of Our Native Daughters“. Ihr werdet es nicht bereuen, versprochen!

https://www.rhiannongiddens.com

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